Die Auswirkungen von Suchtproblemen sind weitreichend und betreffen nicht nur diejenigen, die direkt von der Sucht betroffen sind, sondern auch ihre Angehörigen. In vielen Fällen entwickeln Angehörige von suchtkranken Personen eine Verhaltensweise, die als Co-Abhängigkeit bekannt ist. Diese Form der Abhängigkeit betrifft nicht die Substanz selbst, sondern die Beziehung zu der suchtkranken Person.
Dieser Artikel erscheint unter der Rubrik "Angehörige" statt unter "Mental Health", da er sich speziell auf die Belastungen und Herausforderungen konzentriert, denen Angehörige von Suchtkranken und co-abhängige Familienangehörige gegenüberstehen. Während Suchtprobleme zweifellos eine bedeutende Auswirkung auf die psychische Gesundheit haben können, liegt der Schwerpunkt hier auf der Dynamik innerhalb der Familien und den spezifischen Herausforderungen, die sich für Angehörige ergeben. Dieser Artikel soll dazu dienen, das Verständnis für Co-Abhängigkeit und deren Auswirkungen auf Familienangehörige zu vertiefen und ihnen Ratschläge und Unterstützung zu bieten, um mit dieser komplexen Dynamik umzugehen.
Im Folgenden gehen wir näher auf das Phänomen der Co-Abhängigkeit eingehen und wie Angehörige damit umgehen können.
Was ist Co-Abhängigkeit?
Co-Abhängigkeit ist ein komplexes Verhaltensmuster, bei dem Angehörige von Suchtkranken dazu neigen, sich stark auf die Bedürfnisse und Probleme der betroffenen Person zu konzentrieren. Sie fühlen sich oft für das Wohlbefinden der Suchtkranken verantwortlich und setzen ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen aufs Spiel. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass die co-abhängigen Personen ihre eigene Identität und Lebensqualität vernachlässigen.
Nehmen wir als Beispiel die Familie Müller. In dieser Familie ist Herr Müller alkoholabhängig. In Situationen übernimmt Frau Müller die Verantwortung für die Probleme ihres Mannes. Sie versucht, sein Trinkverhalten zu kontrollieren, ihn vor den negativen Konsequenzen seines Alkoholkonsums zu schützen und seine Ausreden vor anderen zu erklären.
Frau Müller vernachlässigt oft ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen. Soziale Verpflichtungen werden abgesagt, um sicherzustellen, dass Herr Müller zu Hause bleibt und keinen Alkohol trinkt. In diesem Bemühen, ihren Ehemann zu unterstützen, leidet ihr eigenes Wohlbefinden und die Lebensqualität der Familie Müller.
Obwohl Frau Müller im Herzen das Beste für ihren Mann möchte und sich um ihn sorgt, hat die Co-Abhängigkeit negative Auswirkungen auf die gesamte Familie Müller. Sie fühlt sich in einer Rolle gefangen, in der sie ihren Mann vor den Folgen seiner Sucht schützen muss, anstatt sich auf die eigenen Bedürfnisse und die ihrer Kinder zu konzentrieren. Dies ist ein klassisches Beispiel für Co-Abhängigkeit, bei dem Angehörige von Suchtkranken ihre eigenen Grenzen und Interessen vernachlässigen, um die Abhängigen zu unterstützen, was letztendlich zu einem ungesunden und belastenden Verhaltensmuster führt.
Die Dynamik der Co-Abhängigkeit
Die Dynamik der Co-Abhängigkeit ist geprägt von einer komplexen Wechselwirkung zwischen der suchtkranken Person und ihren Angehörigen. Die Sucht verursacht Leid für beide Seiten, und in vielen Fällen kann die Co-Abhängigkeit dazu führen, dass sich die Probleme verschlimmern. Angehörige, wie die Familie Müller in unserem Beispiel, versuchen oft, Suchtkranke zu kontrollieren oder vor den Konsequenzen ihrer Handlungen zu schützen.
In unserem Beispiel geht Frau Müller über das hinaus, was für sie gesund und nachhaltig ist. Sie ist ständig besorgt um Herrn Müller und versucht, sein Trinkverhalten zu überwachen. Sie verpasst wichtige Termine, um sicherzustellen, dass er zu Hause bleibt und keinen Alkohol konsumiert. Dabei vernachlässigt sie ihre eigenen Interessen und ihr Wohlbefinden.
Diese verzweifelten Bemühungen, Herrn Müller zu helfen, können zu einem Teufelskreis führen. Herr Müller fühlt sich möglicherweise nicht mit den Konsequenzen seines Verhaltens konfrontiert, da seine Frau die Verantwortung übernimmt. Dadurch bleibt seine Sucht bestehen und belastet die Beziehung weiter.
Die Co-Abhängigkeit ist eine komplexe und belastende Dynamik, die es zu erkennen und zu bewältigen gilt. Sie kann die Suchtprobleme verschlimmern und die Lebensqualität der betroffenen Angehörigen beeinträchtigen. Daher ist es entscheidend, Unterstützung und Ressourcen zu suchen, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen und eine gesunde Dynamik innerhalb der Familie wiederherzustellen.
Wie Co-Abhängigkeit die Auswirkungen von Suchtproblemen auf Kinder verstärkt
Kinder, die in Familien mit Suchtproblemen aufwachsen, erleben eine Vielzahl schwerwiegender Auswirkungen. Diese Kinder durchleben traumatische Kindheitserlebnisse, die ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen können. Der Stress und die Unsicherheit in einem suchtbetroffenen Haushalt können zu Angst und Depression führen und das Risiko für spätere Suchtprobleme erhöhen.
Die Co-Abhängigkeit von Familienangehörigen verstärkt diese Auswirkungen oft. Co-abhängige Angehörige neigen dazu, sich übermäßig auf die Bedürfnisse der suchtkranken Person zu konzentrieren und ihre eigenen Grenzen zu vernachlässigen. Dadurch leiden die Kinder unter noch größerer Vernachlässigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse und sind einem erhöhten Maß an Stress und Unsicherheit ausgesetzt.
Bildung und soziale Entwicklung können weiterhin beeinträchtigt werden, da Kinder in solchen Familien Schwierigkeiten haben, sich auf ihre Ausbildung zu konzentrieren und enge Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen. Stigmatisierung und Scham sind häufige Begleiter in ihrem Leben, da Co-abhängige Angehörige oft versuchen, die Suchtprobleme zu verbergen.
In einigen Fällen übernehmen diese Kinder frühzeitig Verantwortung für die Familie und versuchen, die Suchtprobleme ihrer Eltern(teile) zu kompensieren. Dies verstärkt die Belastungen, die sie bereits erleben.
Die Auswirkungen von Suchtproblemen und Co-Abhängigkeit in der Kindheit können bis ins Erwachsenenalter reichen. Diese Kinder haben ein erhöhtes Risiko, selbst Suchtprobleme zu entwickeln, und kämpfen oft mit emotionalen und psychischen Herausforderungen.
Es ist entscheidend, dass Kinder von suchtkranken Familienangehörigen und Co-abhängigen Personen Unterstützung erhalten. Schulen, Therapeuten und soziale Dienste können dazu beitragen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und geeignete Hilfsmaßnahmen zu ergreifen. Eltern oder Familienangehörige sollten in Erwägung ziehen, sich ebenfalls Hilfe zu holen, um die bestmögliche Unterstützung für ihre Kinder sicherzustellen.
Umgang mit Co-Abhängigkeit
Es ist wichtig zu erkennen, dass Co-Abhängigkeit keine nachhaltige Lösung für Suchtprobleme ist. Angehörige sollten sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen.
Hier sind einige Schritte, die Angehörige ergreifen können, um mit Co-Abhängigkeit umzugehen:
Selbstreflexion: Angehörige sollten sich bewusst machen, dass sie co-abhängig sind, und versuchen zu verstehen, wie dieses Verhalten ihr eigenes Leben beeinflusst.
Grenzen setzen: Es ist wichtig, klare Grenzen zu setzen und zu lernen, "Nein" zu sagen, wenn nötig. Angehörige sollten nicht die Verantwortung für Suchtkranke übernehmen.
Unterstützung suchen: Co-abhängige Personen können von professioneller Hilfe, wie Therapie oder Selbsthilfegruppen, profitieren. Diese bieten eine sichere Umgebung, um ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu verarbeiten.
Warum lohnt es sich, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen?
Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe kann für Angehörige von suchtkranken Personen äußerst hilfreich sein. Hier sind einige Gründe, warum es sich lohnt, eine Selbsthilfegruppe in Erwägung zu ziehen:
- Gemeinschaft und Verständnis: In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die ähnliche Erfahrungen durchleben oder durchgemacht haben. Dies schafft eine Gemeinschaft, in der Sie sich verstanden und weniger allein fühlen können. Das Teilen von Geschichten und Herausforderungen mit Gleichgesinnten kann tröstend sein.
- Lernen von anderen: Selbsthilfegruppen bieten die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer Angehöriger zu lernen. Sie können von verschiedenen Bewältigungsstrategien und Herangehensweisen profitieren, die Ihnen in Ihrer eigenen Situation helfen können.
- Unterstützung und Empathie: Selbsthilfegruppen bieten einen sicheren Raum, in dem Sie Ihre Gefühle und Sorgen ohne Urteil ausdrücken können. Andere Gruppenmitglieder können Empathie und Unterstützung bieten, die in Ihrem sozialen Umfeld möglicherweise fehlen.
- Erlernen von Bewältigungsfähigkeiten: Selbsthilfegruppen bieten oft praktische Ratschläge und Techniken zur Bewältigung von Co-Abhängigkeit. Sie können neue Wege finden, um mit Stress, Angst und den Herausforderungen des Lebens mit einem Suchtkranken umzugehen.
- Reduzierung von Isolation: Co-abhängige Personen fühlen sich oft isoliert oder schämen sich für ihr Verhalten. Selbsthilfegruppen können dazu beitragen, diese Isolation zu durchbrechen und das Gefühl der Zugehörigkeit wiederherzustellen.
- Langfristige Unterstützung: Selbsthilfegruppen bieten oft langfristige Unterstützung, sodass Sie nicht nur in akuten Krisen, sondern auch während des gesamten Genesungsprozesses Hilfe erhalten können.
- Ermutigung zur Selbstfürsorge: Selbsthilfegruppen ermutigen dazu, sich selbst besser zu pflegen und die eigenen Bedürfnisse zu priorisieren. Dies ist entscheidend, um die eigenen Grenzen zu wahren und gesund zu bleiben.
Achtsamkeit und Selbstfürsorge: Angehörige sollten sich Zeit für sich selbst nehmen und Aktivitäten genießen, die ihnen Freude bereiten. Selbstfürsorge ist entscheidend, um die eigene seelische Gesundheit zu erhalten.
Fazit: Co-Abhängigkeit überwinden und die Lebensqualität verbessern
Co-Abhängigkeit ist eine zermürbende und krankmachende Dynamik, die Beziehungen zwischen Suchtkranken und ihren Angehörigen auf eine sehr tiefgreifende Weise belastet. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Angehörige sich ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst werden und Unterstützung suchen, um sich aus diesem zerstörerischen Kreislauf zu befreien, der nicht nur ihre seelische Gesundheit gefährdet, sondern auch das Wohl der gesamten Familie bedroht.
Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von suchtkranken Personen stellt eine wertvolle Ressource dar, um die verheerenden Auswirkungen der Co-Abhängigkeit erfolgreich zu bewältigen. In solchen Gruppen erhalten Angehörige nicht nur praktische Ratschläge und emotionale Unterstützung, sondern finden auch eine unterstützende Gemeinschaft, die sie auf ihrem Weg zur Genesung begleitet.
Abschließend ist es entscheidend zu erkennen, dass die Pflege und der Schutz der Kinder sowie die eigene Gesundheit oberste Priorität haben sollten. Feste Regeln und möglicherweise sogar ein Ultimatum gegenüber dem süchtigen Familienmitglied können notwendig sein, um den Weg zur Genesung zu ebnen. Eine klare Botschaft, dass die Fortsetzung des Suchtverhaltens nicht toleriert wird, kann einen Wendepunkt in der Familiendynamik darstellen. In einigen Fällen kann die Trennung von einem süchtigen Familienmitglied als letzter Ausweg notwendig sein, um die Sicherheit und das Wohl der Kinder sowie die eigene Gesundheit zu schützen. Dies ist eine schwerwiegende Entscheidung, die sorgfältig abgewogen werden sollte, unter Berücksichtigung aller möglichen Konsequenzen für die Kinder und die Familie als Ganzes. Die Unterstützung von Fachleuten, sei es in Form von Therapie, Beratung oder Kinderbetreuungsdiensten, ist von unschätzbarem Wert, um die bestmögliche Entscheidung für die Kinder und die Familie zu treffen. Die Genesung und das Wohlergehen aller Beteiligten sollten immer im Mittelpunkt stehen.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) (o. D.). Alkohol? Kenn dein Limit: Angehörige und Co-Abhängigkeit. Was können Angehörige bei Alkoholabhängigkeit tun? URL: https://www.kenn-dein-limit.de/alkoholkonsum/alkoholismus/angehoerige-und-co-abhaengigkeit/
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) (15.08.2016). Alkohol? Kenn dein Limit: Selbsthilfegruppen für Angehörige. URL: https://www.kenn-dein-limit.de/fakten-ueber-alkohol/selbsthilfegruppen-angehoerige-alkoholiker/
Hofheinz C., Soellner R. (2020). Mitgehangen – mitgefangen? Wie sich Suchtprobleme auf Angehörige auswirken. The Inquisitive Mind, 04/2020. URL: https://de.in-mind.org/article/mitgehangen-mitgefangen-wie-sich-suchtprobleme-auf-angehoerige-auswirken
Riedel, M. (2022). Co-Abhängigkeit in Beziehungen - Bleiben oder Trennen?: Wie du eine toxische Partnerschaft erkennst und überwindest. Dein Weg in die emotionale, selbstbestimmte Freiheit. Westchester.